Heute prasseln Regentropfen an die Fensterscheibe und die Bäume bewegen langsam ihre Köpfe von rechts nach links, als könnten sie sich nicht so recht entscheiden, was man mit diesem Tag denn so anstellen soll. Grund für Trübsal ist das allerdings nicht! Denn wer kennt sie nicht, jene klammheimliche Freude über „Schietwetter“, wenn man es sich zu Hause so richtig gemütlich machen kann. Und dieses Prinzip lässt sich auch wunderbar auf einen Urlaub im hohen Norden übertragen: Wenn es in Schleswig-Holstein von der Seite regnet, ist ein Ausflug in die hiesige Museumslandschaft nämlich alles andere als eine Notlösung. Es ist ein willkommenes Kulturvergnügen!
Weit mehr als eine Schietwetter-Alternative: Museumslandschaft zwischen Nord- und Ostsee
Sturmfrisuren im Rathaus Eckernförde
Als Erstes führt uns unser Weg ins Ostseestädtchen Eckernförde, das für sich genommen schon so schön ist, dass es einen Platz in der Vitrine einer Kunstsammlung verdient hätte. Mitte des 15. Jahrhunderts wurde hier der Grundstein für den bis heute bedeutendsten Profanbau der Stadt gelegt: das Alte Rathaus. In diesem historischen Gebäude schlägt das kulturelle Herz von Eckernförde. Ab Mitte November widmet sich eine neue Ausstellung jenen Meeresbewohnern, denen die Ostsee wie eine Regenpfütze vorkommen mag. Die beste aller Regenpfützen natürlich! In „Wunder der Tiefsee“ begegnen wir unter anderem einem Papierboot (ein wendiger Kopffüßler) oder einer Krebslarve mit schmucker Achtzigerjahre-Frisur. Diese Krebsart kann nicht nur selbst Licht produzieren, sondern seinen eigenen Schatten verschwinden lassen, um Fressfeinde auszutricksen. Der Biologe und Fotograf Solvin Zankl macht uns mit so manchem Tiefseebewohner bekannt, die kaum ein Mensch zuvor zu Gesicht bekommen hat.
Zeitreise in St. Peter-Ording
Von der Ostsee weht uns der Herbstwind rüber bis an die Nordsee. Die Halbinsel Eiderstedt im Allgemeinen und die Küstenstadt St. Peter-Ording im Speziellen gehören mit den weißen Sandstränden, traditionellen Pfahlbauten und modernen Wellnesstempeln zu den beliebtesten Urlaubsorten Schleswig-Holsteins. Mittendrin: das Museum Landschaft Eiderstedt, das „Langzeitgedächtnis“ der Region. Hier entdecken wir Landestypisches, Maritimes und Kurioses. In der aktuellen Ausstellung „Mit der Plattenkamera unterwegs – historische Fotos aus St. Peter-Ording“ nimmt uns Reisefotograf Julius Simonsen noch einmal mit auf seine Reisen, die er zwischen 1910 und 1932 unternommen hat. Wer von hier aus schon einmal eine Ansichtskarte verschickt hat, wird bestimmt das eine oder andere Lieblingsmotiv wiedererkennen.
Teuflisch gut: Witzwort
Hierzulande erzählt man sich, der Teufel selbst habe den Roten Haubarg in Witzwort erbaut. Tatsächlich aber waren es niederländische Täufer, die diese Wohnstallhäuser mit pyramidenartigem Dach mit auf die Halbinsel Eiderstedt brachten. 400 sind hier einmal gewesen. Übriggeblieben sind etwa 50. Was es genau damit auf sich hat, erklärt uns niemand Geringeres als der Rote Haubarg selbst. Die gut 40 geschickt platzierten Lautsprecher machen das Museum zu einer regelrechten Plaudertasche mit einer gelungenen Mischung aus Information und – wie passend zum Ortsnamen – Wortwitz. Statt Vitrinen oder Texttafeln erwarten uns hier ein Klönschnack mit dem Haubarg selbst und eine leckere Mahlzeit im angrenzenden Restaurant. So kann man sich regionale Kultur schmecken lassen!
Eine Wasserstandsmeldung aus Kellenhusen
Die Lübecker Bucht ist bekannt für ihre lebendige Kunst- und Kulturszene. Galerien und Kunsthandwerk, Museen und Ausstellungen gehören zur Region wie Fischbrötchen in der Hand, Wind in den Haaren und Sand zwischen den Zehen. Im Ostseebad Kellenhusen führt uns eine Ausstellung vor Augen, wie eng Geschichte und Zukunft, Kultur und Alltag miteinander verbunden sind. In den Räumen der ehemaligen Sparkasse zeigt der Tourismus-Service Bilder und Dokumentationen der Sturmflut von 1872 und ergänzt diese durch Fotos von dem jüngsten schweren Ostseesturmhochwasser aus 2023.
Lübecker Traumreise
Noch während des Ersten Weltkriegs eröffnete die Hansestadt das St. Annen-Museum in den Gebäuden des einstigen Stadtklosters. Etwa eine Dekade später erschien Thomas Manns Bildungsroman Der Zauberberg, der ein Gesellschaftsbild während des sprichwörtlichen Vorabends des Kriegs zeichnet. Heute, genau 100 Jahre später, präsentiert das Museum mit der Ausstellung „Thomas Manns Der Zauberberg. Fiebertraum und Höhenrausch“ ein atmosphärisches Erlebnis in vier Traumwelten und sieben Stationen. Mithilfe aktueller Bezüge verdeutlicht die Ausstellung, wie zeitlos die Themen Liebe und Politik, Leben und Tod doch sind – und dass Der Zauberberg alles andere als „von gestern“ ist. Memo an mich selbst: heute Abend Tee, Kuschelsocken, Wolldecke und noch einmal den Zauberberg lesen.
Nachspielzeit für einen Jahrhundertroman
Das Museumsquartier auf dem ehemaligen Klostergelände beherbergt neben dem St. Annen-Museum auch die Kunsthalle St. Annen. Sie verbindet die historischen Überreste der 1843 abgebrannten Klosterkirche – wie Achteckpfeiler und Bogennischen – mit moderner Architektur und präsentiert in wechselnden Ausstellungen Kunst des 20. Jahrhunderts. Bis März 2025 steht auch hier Manns Der Zauberberg im Mittelpunkt. Mit ihrem begehbaren, interaktiven Kunstwerk „Extra Time“ führt uns die preisgekrönte britische Künstlerin Heather Phillipson durch alternative Gegenwarten und mögliche Zukünfte. Die verschiedenen Szenen und vierdimensionalen Bilder, die wir durchschreiten, spielen mit dem Phänomen Zeit und nehmen gleichermaßen Bezug auf den Roman und auf die Stadt Lübeck. Und hier fühle ich mich so pudelwohl wie die vielen Krähen, die dieses Kulturerlebnis begleiten.
Seegang in Lauenburg
Zum Schluss meiner Abenteuerreise durch die schleswig-holsteinische Museumslandschaft kommt das Elbschifffahrtsmuseum in Lauenburg mit seiner interaktiven Ausstellung Mensch-Modell-Maschine. In begehbaren Erlebniswelten, an spannenden Versuchsstationen und im Austausch mit Kaisern, Smutjes & Co. spazieren wir mal eben durch 1.000 Jahre Geschichte der Schifffahrt. Die Führung durch die „Schatzkammer der Schiffsantriebe“ lässt mich im Gewölbekeller des Museums jedes Zeitgefühl verlieren. Als mich das Tageslicht wiederhat, prüfe ich den Wetterbericht für den morgigen Tag. Museumswetter. Was will man mehr?!
Übersicht:
- Museum Eckernförde, Rathausmarkt 8, 24340 Eckernförde, Öffnungszeiten: Di – So, 11 – 17 Uhr; Ausstellung „Solvin Zankl – Wunder der Tiefsee“ noch bis 5. Januar 2025; mehr unter www.museum-eckernfoerde.de
- Museum Landschaft Eiderstedt, Olsdorfer Str. 6, 25826 St. Peter-Ording; Öffnungszeiten: April bis Oktober Di – So 10 – 17 Uhr, November bis März Di – So 11 – 16 Uhr; Ausstellung „Mit der Plattenkamera unterwegs – historische Fotografien aus St. Peter-Ording“ noch bis 5. Januar 2025; mehr unter www.museum-landschaft-eiderstedt.de
- Museum Roter Haubarg, Am Sand 5, 25889 Witzwort, Öffnungszeiten: Di – So 11 – 21 Uhr; mehr unter www.museum-roterhaubarg.de
- Ausstellung „Die Sturmflut A. D. 1872“, Ausstellungsraum Am Ring 1, 23746 Kellenhusen; Öffnungszeiten: täglich 10 –17 Uhr; mehr unter www.gemeinde-kellenhusen.de/aktuelles-artikel/34
- St. Annen-Museum (Museum für Kunst- und Kulturgeschichte), St.-Annen-Str. 15, 23552 Lübeck, Öffnungszeiten: Di – So 10 – 17 Uhr; Ausstellung „Thomas Manns Der Zauberberg. Fiebertraum und Höhenrausch“ noch bis 1. März 2025; mehr unter www.derzauberberg.de/de/ausstellung
- Kunsthalle St. Annen, St.-Annen-Str. 15, 23552 Lübeck; Öffnungszeiten: Di – So 11 – 17 Uhr; Ausstellung „Extra Time. Heather Phillipson“ noch bis 2. März 2025; mehr unter www.kunsthalle-st-annen.de/extra-time-heather-phillipson
- Elbschifffahrtsmuseum Lauenburg, Elbstr. 59, 21481 Lauenburg/Elbe, Öffnungszeiten: März bis Oktober Di – Fr 10 – 18 Uhr, Sa – So 10 – 17 Uhr, November bis Februar Di – So 10 – 16 Uhr; mehr unter https://www.lauenburg-tourismus.de/poi/elbschifffahrtsmuseum
Tipp:
Für die Teilnahme an Führungen im Elbschifffahrtsmuseum empfiehlt sich, spätestens zwei Tage vorher über die Tourist-Information zu reservieren. Tel. 04153-5909220 oder E-Mail: touristik@lauenburg-elbe.de
- Führung durch das Elbschifffahrtsmuseum (1,5 Stunden)
- Führung durch die Schatzkammer der Schiffsantriebe (1 Stunde)
- Führungen ab vier Teilnehmenden
Von Tina Ott
Dem Geburtsort im Ausweis zufolge mag sie zwar eine Karlsruher Suppennudel sein. Aber Tina ist seit Jahrzehnten mit Leib, Seele und Vokabular eingenordet: zu Hause in Kiel, glücklich bei Meerblick und gleichermaßen vernarrt in die norddeutsche Landschaft wie in den trockenen Humor der Menschen, die zwischen den Meeren leben und lachen.