Auf einen Spaziergang durch das Maritime Viertel Kiels

Wer die Landeshauptstadt Kiel besucht, hat meist nur eines im Sinn: die Schiffe und das Meer. Beides steht einfach für die Stadt an der Förde. Doch auch abseits der beliebten Ostseestrände und Häfen hat Kiel so einiges zu bieten. Beim Spaziergang durch das „Maritime Viertel“ trifft spannende Geschichte auf ein lebendiges Wohn- und Kulturviertel mit kulinarischen Leckerbissen.

Eine Frau spaziert an einem älteren Haus im Anscharpark vorbei
© Textkombüse

Einige der roten Backsteinhäuser warten noch darauf, wachgeküsst zu werden. Anderen wiederum wurde längst zu neuem Glanz verholfen. Während ich durch den Anscharpark im Stadtteil Kiel-Wik ganz im Norden der Stadt laufe, wechseln sich von Graffiti besprühte Mauern mit modernen Neubauten und restaurierten Gebäuden ab. Eine bewegende Geschichte prägt dieses Viertel, das früher einst Militärgelände war.

Im Jahr 1865 wurde der Stützpunkt der Marine von Danzig nach Kiel verlegt – und tausende Soldaten in Kiel stationiert. Hier im Norden der Stadt, rund um den auch heute noch aktiven Marinehafen, entstanden zahlreiche Militärgebäude. Auch im Zweiten Weltkrieg war das Viertel von Bedeutung. Das ehemalige Marine- und Garnisonslazarett beherbergte früher rund 20 Bauten – darunter Krankenhauspavillons, OP-Räume, Verwaltungsgebäude, Gefängnis, Tierstall und eine Großküche. Wo früher Soldaten versorgt wurden, wird heute allerdings gemalt, getöpfert, restauriert und designt. Das Atelierhaus war 2011 das erste Gebäude, welches renoviert wurde. Weitere folgten und heute ist das ehemalige Militärgelände zu einem bunten Wohn- und Kulturviertel aufgeblüht.

Immer wieder ragen zwischen den historischen Mauern moderne Wohngebäude mit dunklerer Fassade empor. Die Gärten sind offen gestaltet. Junge Familien haben Stühle und Tische vor der Haustür aufgestellt, wo die Bewohner des Hauses regelmäßig zusammenkommen. Zwischen den alten Bäumen sind Hängematten gespannt, ein Kindergarten befindet sich neben dem Atelier, ein Coworking Space gegenüber der imposanten Petruskirche und zwischen all diesen alten und neuen Gebäuden eine grüne Lunge, die zum Verweilen einlädt.

Der historische Flandernbunker in Kiel
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Bunker vermittelt Geschichte und zeitgenössische Kultur

Auf den Spuren der Vergangenheit geht es bei meinem Spaziergang auch in den Flandernbunker. Er diente während des Zweiten Weltkriegs als Flugabwehr- und Notkommando-Zentrale und sollte später auch die Zivilbevölkerung vor Bombenangriffen schützen. Die Erinnerungen an die Kriegszeiten werden heute in einer emotionalen Ausstellung aufrechterhalten. Daneben gibt es aber auch Kunst zu entdecken. Workshops sowie künstlerische Auftritte mit Musik und Theater finden ebenfalls statt und geben dem bedrückenden Ort auch eine buntere, inspirierende Seite. Vom Flandernbunker aus geht es weiter durch den Anscharpark hoch zur ehemaligen technischen Marineschule. Hier leben heute Flüchtlingsfamilien. Zugleich ist das Gebäude regelmäßig Kulisse für den Kieler Tatort. Kommissar Klaus Borowski, gespielt von Axel Milberg, hat dort nämlich sein Büro. Ebenfalls in der Marineschule untergebracht ist ein Museum, wo ich spannendes über die Geschichte des Nord-Ostsee-Kanals und seinen Vorläufern – dem „Schleswig-Holsteinischen Kanal“ sowie dem „Eiderkanal“ – erfahre. Ein weiteres Highlight befindet sich nur wenige Gehminuten entfernt: das Maschinenmuseum. Vom uralten Ottomotor über die zischende Dampfmaschine bis hin zum lauten U-Boot-Dieselmotor: Die Ausstellungsstücke zeigen die enorme Bedeutung Kiels als Werft- und Maschinenbaustandort.

Auf zu Tante Suse

Um die echten Wiker zu treffen, die hier im Norden der Stadt leben und arbeiten, geht es am Mittag auf ein Stück Quiche zu „Tante Suse“. Inhaberin Suse, die mit richtigem Namen Susanne Wihlfahrt heißt, hat an der Ecke Adalbertstraße vor mehr als zehn Jahren eine sogenannten „Biosk“ eröffnet. Die Kombination aus Kiosk und Bioladen kommt bei den Bewohnern des Viertels und den Besuchern gleichermaßen gut an. Die Blumen wachsen wild vor dem Geschäft. Inmitten des kleinen Gartens oder auf dem Bürgersteig können die Gäste draußen Platz nehmen und bei einer Limo dem Treiben des Viertels zuschauen. Jeder scheint jeden zu kennen. Ein bisschen erinnert dieser Ort an einen Kiez im Berliner Szeneviertel. Doch es ist um einiges bodenständiger als in der hippen Hauptstadt.

Kaffee und Kuchen im Café Dreimaster in Kiel
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Da mir an diesem Tag mehr nach Torte zumute ist, geht es von Tante Suse direkt weiter in das Café Dreimaster, welches sich an der Petruskirche befindet. Die Auslage mit Pumpkin-Cheese-Cake, Birnentarte und Pflaumen-Zimt-Kuchen ist wirklich etwas für Schleckermäuler. Völlig zurecht wurde dieses Kieler Café schon zum „Besten Café Kiels“ gekürt. Die Besucher nehmen entweder im imposante Gewölberaum drinnen Platz und genießen die Shabby-Chic-Inneneinrichtung oder sie machen es sich in dem weitläufigen Garten mit Blick auf die Kirche gemütlich.

Dicke Pötte in der Schleuse beobachten

Der Nord-Ostsee-Kanal ist nur einen Steinwurf von den leckeren Torten entfernt. Von der Aussichtsplattform Wiker Balkon beobachte ich das muntere Treiben der Schiffe. Einen noch besseren Blick hat man allerdings von der Besucherplattform etwas weiter unten am Wasser. Als ich an diesem Nachmittag dort eintreffe, fährt gerade ein gigantisches Containerschiff in die Schleuse. Live dabei zuzuschauen, wie es in die enge Kammer manövriert und der Wasserstand ausgeglichen wird: Das ist schon ein Erlebnis!

Der Außenbereich des Schiffercafés in Kiel ist gut besucht, während eine Radfahrerin vorbeifährt.
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Für noch mehr Schleusen-Abenteuer können Besucher mit der kostenfreien Kanalfähre „Adler“ einmal über die Wasserstraße schippern. Der Stadtteil Kiel-Holtenau gehört mit seinem markanten Leuchtfeuer an der Kaimauer ebenfalls zum „Maritimen Viertel“. Dort angekommen ist ein Fischbrötchen im traditionellen Schiffercafé mit Blick auf die Schleuse natürlich ein absolutes Muss.

  • Es gibt auch spezielle Frührungen durch das Maritime Viertel. Weitere Informationen dazu gibt es beim Verein „Maritimes Viertel“.
Jana Walther - Portraitfoto

Von Jana Walther

Jana ist als gebürtiges Nordlicht bei Wind und Wetter in Schleswig-Holstein unterwegs – immer auf der Suche nach außergewöhnlichen Orten und spannenden Geschichten. Wenn sie mal nicht bei einem Cappuccino mit Meerblick in ihrer Heimat Kiel in die Tasten haut, findet man sie abseits des Trubels auf unbekannten Pfaden in den Naturschutzgebieten des Landes.