Der Geschmack des Küstenwinters

Es ist dieses Licht. Dieses besondere Wintersonnenlicht. Wenn ich in der kalten Jahreszeit an der Nord- oder Ostsee bin, dann lasse ich mich von diesem Licht in den Tag hineinverführen.

Holzsteg zwischen verschneiten Dünen
© Beate Zoellner

Besonders schön ist es bei klirrender Kälte, wenn es von den Eiskristallen frisch gefallenen Schnees gespiegelt wird. Mit dieser Wintersonnenlicht-Gestimmtheit geht es dann zum Frühstück. Am liebsten eines mit Blick auf den Wellengang, aber immer mit Tee und in Nordfriesland gerne mit Halligbrot – ein frisches Schwarzbrot bestrichen mit Hallig-Butter, belegt mit ordentlich Nordseekrabben und gekrönt von Spiegeleiern. Dann ist der Tag schon in der Früh ein guter Tag! 

Wenn mich Freunde fragen, was das Schöne am Urlaub an der winterlichen Nord- und Ostseeküste ist, fange ich oft mit diesen Eindrücken an. Und da ich zur Gattung der Genießer gehöre, sind die Tage oft eine herrliche Abfolge von Küstennaturerfahrungen und echt nordischen Geschmackserlebnissen. So freue ich mich immer, wenn ich auf meinen Wanderungen an einer der vielen Küstenwiesen vorbeikomme, wo einige der stattlichen Schottischen Hochlandrinder – Highland Cattle – grasen. Wie mich mein künstlicher Winterpelz wärmt, so schützt sie ihr doppellagiges Fell auch bei Minusgraden vor der Kälte. Und die zotteligen Vierbeiner sind nicht nur verlässliche Landschaftspfleger, indem sie das Gras klein halten – sie entzücken auch mein Herz als Flexitarier. Denn ab und an gönne ich mir ein gutes Stück Fleisch. Und das von einem Highland Cattle ist ein ganz wunderbares: feinfaserig, fett- und cholesterinarm sowie proteinreich mit einem feinen Geschmack und einem Hauch Süße. Apropos: Als Dessert schätze ich die in Nordfriesland stark verbreitete Tote Tante. Der Name ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen, sondern steht für eine heiße Schokolade mit Rum, Sahne und oft Schokostreuseln.

Zwei Frauen dinieren in einem Fischrestaurant
© sh-tourismus.de/MOCANOX

Derart gestärkt gehe beziehungsweise fahre ich in den Nachmittag. Dass mit dem Fahren bezieht sich gerne auf St. Peter-Ording. Denn immer wenn ich im Winter dort bin und ausreichend Wind weht – und das ist meistens der Fall! –, nutze ich einen Nachmittag zum Strandsegeln. Dick eingepackt und bis zu 60 km/h schnell ist es ein großes Vergnügen. Was danach meistens folgt, sind ein Saunabesuch und am Abend gerne ein kulinarischer Höhepunkt. Und davon gibt es viele in den Küstenregionen. Allein der Guide Michelin listet über 40 Restaurants in Schleswig-Holstein auf, die eine Spitzenküche haben, darunter zwölf Sterne-Restaurants. Die meisten davon liegen an der Küste. Mein Favorit am Abend ist Fisch, natürlich möglichst frisch vom Kutter. Zum jahreszeitlichen Angebot gehören unter anderem Steinbutt und Schellfisch, Zander, Miesmuscheln und Wolfsbarsch. Tolle Kombinationen sind für mich Winterkabeljau auf Steckrüben oder Zanderfilet mit Kohl. Letzteren gibt es im nördlichsten Bundesland übrigens zuhauf: In Dithmarschen liegt das größte geschlossene Kohlanbaugebiet Europas. Rund 90 Millionen Kohlköpfe werden jedes Jahr geerntet, darunter Weiß- und Rotkohl, aber auch Spitz- sowie Rosenkohl und Wirsing. Nach Tisch geht es dann hinaus zu einem letzten, kurzen Spaziergang am Strand. Bei gutem Wetter ist der Sternenhimmel wunderbar klar und kein Streulicht einer Stadt stört. Hach, ich liebe den Winter an der Küste. Wenn der Norden zufriert, taut das Herz einfach auf.

Von Michael Fischer

Michael Fischer schätzt die kulinarische Szene Schleswig-Holsteins, ist gerne an Nord- und Ostsee unterwegs und liebt es, über schöne Ecken und interessante Menschen im echten Norden zu berichten.