Mit euren Fragen im Gepäck habe ich mich auf den Weg nach Hallig Hooge gemacht und Leif und Swantje Boyens auf der Hooger Volkertswarft besucht. Hier betreiben die beiden zusammen den Ferienhof Volkertswarft, ihre „Herberge im Meer“ – und das bereits in dritter Generation.
Das Leben auf einer Hallig
Leif ist ein waschechter Hooger. Er ist auf der Hallig aufgewachsen und besuchte die dortige Schule – damals mit über 20 Mitschülern. Bis heute unterrichtet eine Lehrkraft in der Grund- und Hauptschule alle Klassenstufen und alle Fächer zusammen in einem Raum. So gut wie alle Halligschüler verlassen nach ihrer Schulzeit die Hallig, um eine Ausbildung zu machen oder eine weiterbildende Schule zu besuchen. Leif arbeitete über zehn Jahre als Segelschullehrer am Festland, überquerte zweimal den Atlantik und reiste viel auf der Welt umher. Schließlich zog es den passionierten Wassersportler zurück auf die Hallig, wo er schließlich den Ferienhof Volkertswarft von seinen Eltern übernahm.
Zwei Jahre später zog Swantje nach Hooge. Die gebürtige Fränkin ist in einem kleinen Dorf in der Nähe von Nürnberg aufgewachsen. Als Teamerin auf Jugendfreizeiten lernte sie die Hallig das erste Mal mit 15 Jahren kennen. Danach zog es sie immer wieder zu diesem Kleinod vor der Nordseeküste Schleswig-Holsteins, bis sie schließlich ihre Diplomarbeit im Geographiestudium der Hallig widmete. In dieser Zeit lernte sie Leif kennen, die beiden verliebten sich und Swantje beschloss kurzerhand von ihrem Studienort München nach Hooge zu ziehen - von der Großstadt mitten ins Weltnaturerbe Wattenmeer. Heute, 14 Jahre später, sind Leif und Swantje verheiratet und stolze Eltern von zwei Kindern.
Oft werden die beiden gefragt, ob sie nicht etwas in diesem Mikrokosmos von 80 bis 100 Einwohnern vermissen. Auf den ersten Blick gibt es auf Hooge eigentlich alles, was man braucht. Einen „Hallig-Kaufmann“, einen Postboten, zwei Krankenpfleger und einen Ort zum Geld abheben. Fast wie ein schwimmendes Dorf. Und selbst wenn dringend ein Arzt gebraucht wird, ist der Rettungsflieger innerhalb von zehn Minuten vor Ort.
Das Wetter und die Tiden geben den Ton an
Wenn man genauer hinsieht, zeigen sich aber doch ein paar kleine „Unwegbarkeiten“. Denn ob die Post überhaupt ankommt oder der „Halligkaufmann“ Ware vom Festland bekommt, bestimmen Wetter und Tiden (Gezeiten). Denn Hooge ist nur über den Wasserweg erreichbar. Starker Ostwind, Sturm und vor allem Landunter machen es unmöglich, die Hallig anzufahren oder dort festzumachen. Auch herumtreibende Eisschollen können im Winter für stundenlange Verspätungen sorgen. So kann es durchaus vorkommen, dass die Briefkästen einige Tage leer bleiben. Ein Zeitungsabo in Printform haben Swantje und Leif daher schon lange nicht mehr. „Vor allem im Winter kamen oft alle Zeitungen der vergangen Tage geballt an einem Tag!“, erklärt Leif. Die Regale des „Halligkaufmanns“ sind trotz eingeschränkter Fahrpläne und tideabhängiger Lieferungen gefüllt.
Man plant auf der Hallig immer so gut es geht im Voraus und hat einen Plan B in der Tasche. „Es ist auch ratsam, sich einen Plan C, D und E zurechtzulegen“, meint Swantje mit einem Schmunzeln.
Was eine Hallig überhaupt erst zur Hallig macht, ist das Landunter. Ab einem Wasserstand von 1,50 Meter über NN beginnt Hooge unterhalb der Warften zu überfluten. „Landunter gehört zum Halligleben dazu“, erklärt Leif, der mit Sturmfluten aufgewachsen ist. „Wenn ein Landunter naht, ist es wichtig, alles reinzubringen, was herumfliegen könnte, und alles auf die Warften zu holen.“ Bei Hochwasser ist dann jede Warft wie eine kleine Insel. Nach dem Landunter geht es auf zur Schatzsuche. Alles, was die Nordsee auf den Sommerdeich oder die Fenne gespült hat, wird in Müllsäcke gesammelt oder kommt in die heimische Schatztruhe.
Natürlich geht auch an Swantje und Leif nicht unbemerkt vorbei, dass das Klima sich verändert. Landunter kommen früher, der Wasserstand bei Sturmfluten wird höher, der Meeresspiegel steigt. Mit vielen anderen Hoogern setzen sie sich deshalb gemeinsam für den Naturschutz ein.
Noch mehr Besonderheiten
Was am Anfang auch etwas gewöhnungsbedürftigt erscheint, ist die Tatsache, dass es keine richtige Bank auf Hooge gibt. Hier hebt man sein Geld mittels „EC-Cash-Terminal“ in der privaten Küche von einer Hoogerin ab. Diese wird ein paarmal die Woche zur offiziellen Zahlstelle der „VR Bank Westküste“ umgewandelt. Die Hooger sagen: „Wohin sollte denn ein Dieb unentdeckt flüchten?!“
Eine weitere Besonderheit von Hooge bekam Swantje kurz nach ihrer Ankunft zu spüren. Auf Hooge gibt es keine Straßenlaternen. Dadurch wird es in der Nacht auf Hooge teilweise so dunkel, dass man die Hand vor Augen kaum sehen kann. „Früher oder später fällt hier jeder einmal in einen der Gräben oder Priele. Ist mir auch schon passiert“, lacht Swantje.
Traditionen und Feste
Auch bei ihren Festen und Feiern kommen die Halliglüüd zusammen. Eines dieser Traditionsfeste ist zum Beispiel das Rummelpottlaufen am Silvesterabend. Dabei ziehen Gruppen aus verkleideten Kindern und Erwachsenen singend von Haus zu Haus und von Warft zu Warft. Früher hatte man dazu noch einen „Rummelpott“ (auch Brummtopf genannt) dabei, um die Lieder rythmisch zu begleiten. „Rummel, rummel ruttje“ singend, wird dann an den Haustüren geklopft und anschließend im Haus in gemütlicher Runde Teepunsch (heißes Wasser mit ein klein bisschen schwarzem Tee und einem ordentlichen Schluck Köm) getrunken und gesungen. Für die Kinder gibt es Futjes (tradiotionlles Schmalzgebäck) und Süßigkeiten. So wird die Stimmung am Abend von Haus zu Haus ausgelassener.
„Mein ansolutes Lieblingsfest auf Hooge ist das Biikebrennen“, erzählt Leif. Mit dem Biikefeuer (friesisch für Lichtzeichen) wird jedes Jahr am 21. Februar an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste sowie auf den Inseln und Halligen der Winter vertrieben. Früher wurden mit den Feuern entlang der Küste auch die Seefahrer verabschiedet. „Besonders wichtig ist es, sich an der entstehenden Holzkohle die Hände schwarz zu färben und sich dann gegenseitig durchs Gesicht zu wischen“, meint Leif. „Das wird nur auf Hooge so gemacht.“ Beim anschließenden obligatorischen Grünkohlessen sieht man dann genau, wer am Feuer war und wer nicht.
Auch das Schleusenfest im Sommer ist ein großes Event für alle Hooger, Gäste, Segler und Schutten (Freiwilligendienstler von der Schutzstation Wattenmeer). Die Opti-Regatta ist das absolute Highlight des Tages. "Es kann teilweise sehr amüsant aussehen, wenn ein gestandener Mann sich in eine der kleinen Nussschale quetscht!", erzählen Swantje und Leif lachend. Beim Tautrekken (Tauziehen) heißt es Warft gegen Warft, Schutten gegen Urhooger, Hooger gegen Touristen und und und.
Natur und Weite im Weltnaturerbe Wattenmeer
Die Hooger Lieblingsplätze der beiden sind der Seglerhafen, Landsende und natürlich auch ihre Volkertswarft und die Volkertswarft-Bucht mit dem kleinen Muschelstrand. „Die ständige Nähe zum Meer macht die Hallig so besonders. Du kannst das Meer auch immer sehen!“, erzählt Leif. „Und ist das Wasser bei Ebbe nicht da, gibt die Nordsee den Meeresgrund frei zum Wattwandern“, freut sich Swantje.
Die Liebe zu ihrer kleinen Hallig, der Natur und Weite des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer schwingt in jedem ihrer Worte mit. Trotzdem genießen sie auch Zeit auf dem Festland. „Man muss ja auch einmal etwas anderes sehen, Ausflüge machen, Freunde und Familie besuchen und einmal Abstand zum Halligalltag bekommen. Dann ist es auch immer wieder schön, zurück auf ihre Hallig zu kommen“, erklären Swantje und Leif. Auch wenn es einmal ungemütlich oder stressig wird, die Einzigartigkeit, die Freiheit und das Leben mit dem Meer, möchten sie nicht hergeben. Sie wünschen sich, dass auch ihre Kinder, wenn sie es wollen, noch hier leben können.
Von Lena Stoppel
Als Hobbyfotografin nimmt Lena ihre Follower auf Instagram auf dem Account „Lenaelisabeth.photography“ mit durch ihre vielfältige und magische Heimat, den Norden Deutschlands.