Land des Windes – Durch das Wetter entstehen im Norden Visionen für die Zukunft

Ohne seine frische Brise wäre der Norden kein echter Norden. Wind, das ist die Essenz des Lebens am Meer: mal sanft, mal stürmisch, aber immer voller Energie. Und genauso ungestüm, wie Böen, Wirbel, Brisen und Stürme über das Land pusten, sind auch die Ideen, der Tatendrang und der Mut, mit denen die Menschen hier ihrem Lieblingswetter begegnen: frisch und voller Zuversicht.

Windräder auf Feldern
© CC0

Nur noch wenige Meter und der Urlaub fängt an. Augen schließen, Schritte zählen und dann ist man endlich da. Oben auf dem Deich. Möwenkreischen, Segelschiffe am Horizont. Die Wolken jagen über das Wasser und die steife Brise verwuschelt die Haare. Die salzige Seeluft auf der Haut spüren, tief durchatmen und dann losrennen. Richtung Strand. Wer jemals den Sommer an der Nordsee verbracht hat, wird die frische Kühle und das Rauschen in den Ohren nie wieder vergessen. Wind schafft Erinnerungen, die für immer bleiben.
 

Vom Windrad auf dem Feld zum Bürgerwindpark

Wind schafft aber auch Fortschritt. 1983 nahm der Marschlandbauer Karl Heinz Hansen in Reußenköge 100 000 Mark in die Hand und errichtete eine Windmühle auf dem Feld. Seine Idee: Geld aus Luft zu erzeugen. Die Nachbarn hielten ihn für einen Spinner. Er illuminierte sein Rad nachts mit 1000-Watt Strahlern und war der Erste im Norden, der Strom aus Wind ins öffentliche Netz einspeiste. Aus dem Bauern wurde ein Windmüller. Heute steht in der Gemeinde ein Bürgerwindpark, der mit seinen 85 Windenergieanlagen eine Stadt mit 500 000 Einwohnern mit Strom versorgen könnte: Wind ist Zukunft.
 

Ökostrom aus Windkraft

Windenergie hat in Schleswig-­Holstein eine lange Tradition. Innovationen entstehen hier im Einklang mit der Natur, nicht gegen sie. In Nordfriesland drehten schon im 16. Jahrhundert die Bockwindmühlen ihre Flügel im Wind, um Getreide zu mahlen. In den 1920er-Jahren kamen die „Texasräder“ dazu. Die Windturbinen, die man aus Western kennt, versorgten die Haushalte der Westküste mit Elektrizität. 1989 fanden die Husumer Wind­energietage zum ersten Mal statt. Mittlerweile haben sie sich zum internationalen Branchentreffen für Spitzentechnologien erneuerbarer Energie entwickelt. 
 

Ein Kitesurfer fliegt über das Meer.
© Samuel Tome

"Wind ist ein Lebensgefühl"

Für Mario Rodwald ist Wind ganz elementar für sein Leben. Der gebürtige Rendsburger ist einer der besten Kite-Surfer der Welt, dreifacher Europameister, Gewinner mehrerer World Cups. Gelernt hat Mario von seinem Vater Roy Rodwald. Seine Eltern nahmen ihn, kaum ein paar Wochen alt, im Wohnwagen zum Surfen mit nach Dänemark. „Auf den Wind zu achten, ist eine Sucht“, sagt Rodwald, „egal ob ich am Strand spazieren gehe, Fahrrad fahre oder surfen will.“

„In Schleswig-Holstein haben wir ideale Bedingungen, meistens gutes Surfwetter und eine Landschaft, die extrem schön und gegensätzlich ist.“ Mario Rodwald, Surfer.

Nach seinem Studium in England lebt Rodwald mittlerweile in Kiel. „In Schleswig-Holstein haben wir ideale Bedingungen, meistens gutes Surfwetter (Ostwind und Sonne) und eine Landschaft, die extrem schön und gegensätzlich ist. Der Nationalpark Wattenmeer ist der Wahnsinn. Die Ostsee glitzert mit ihrem türkisen Wasser manchmal wie die Karibik, und in der Nordsee, zwischen Büsum und Sylt, gibt es diese perfekten Wellen.“

Doch die Meere verändern sich. „Plastikmüll zerstört nicht nur die Surfstrände auf Mauritius, das ist auch in Deutschland ein Thema.“ Deshalb nutzt Rodwald seine Popularität und kämpft für saubere Meere, geht in Schulen, leistet Aufklärungsarbeit. Für eine NDR-Dokumentation lebte er zwei Wochen plastikfrei. Seine Erkenntnis: „Im Alltag klappt das gut, aber beim Surfequipment wird es eng.“ Darum entwickelt Rodwald seit 2018 mit seiner eigenen Firma KOLD shapes nachhaltige Surfboards. Produziert wird in Europa, die CO₂-Emissionen werden zu 100 Prozent ausgeglichen und der Kern der Boards ist aus Holz: „Es ist der Versuch, der Natur etwas zurückzugeben“, sagt Rodwald. Wind schafft Verantwortung.
 

Beim ältesten fahrtüchtigen Segelschiff Deutschlands packt jeder mit an.

Die trägt auch Matthias Böttcher, und zwar für das älteste fahrtüchtige Segelschiff Deutschlands. Böttcher entdeckte seine Leidenschaft für den Wind über Umwege: Als er auf der Suche nach einem geeigneten Hobby für die Rente war, erinnerte er sich daran, wie viel Spaß er Jahre zuvor auf einem historischen Schiffstreffen hatte. Heute ist er Geschäftsführer des Vereins Rigmor von Glückstadt. Gemeinsam mit 100 anderen hält er den ehemaligen Zollkreuzer in Schuss und veranstaltet regelmäßige Törns: „Sobald man an Bord ist und einem die frische Brise um die Nase weht, fühlt man sich wie aus der Welt gefallen“, sagt er. Damit das klappt, muss jeder im Verein mitanpacken, auftakeln, abtakeln, jede Saison aufs Neue. „Das Schiff ist Dreh- und Angelpunkt des Vereins und wir wissen alle, dass wir die Rigmor nur zusammen erhalten können.“ Wind, lernt man in Glücksstadt, ist mehr als nur Wetter. Wind schafft Gemeinschaft.
 

Wind und Wasser mit Katja Just

Katja Just, Bürgermeisterin von Hooge, liebt das Meer und den Wind auf der Hallig seit ihrer Kindheit. Mit 25 Jahren kam sie zurück – und blieb.

Was macht das Leben auf der Hallig so besonders?

Es sind die Gegensätze, die hier zusammenkommen: Wir erleben eine endlose Weite und Freiheit, die nur in der Abgeschiedenheit möglich sind, weit weg von den Oberflächlichkeiten und dem Festlandtempo.
 

Welche Rolle spielt der Wind im Leben auf dem Meer?

Hallig und Wind gehören zusammen wie Sommer und Eis. Wind ist zwar kalt, aber er ist auch erfrischend. Was allerdings auch gilt: Das Erste, wovon man sich als Frau trennt, wenn man auf der Hallig lebt, ist die Frisur.
 

Sie kennen Hooge noch als Urlaubskind, heute sind Sie Bürgermeisterin. Hat der Klimawandel das Leben dort verändert?

Der Klimawandel prägt unseren Alltag. Denn wenn der Meerespegel steigt, versinken die Halligen für immer im Meer. Wir überlegen jeden Tag: Wie bekommen wir Höhe, die uns schützt? Wer den Wert der Halligen begreifen will, sollte jetzt kommen!